Auch in Unternehmen ist weniger oft mehr
Im Sinne des "Persönlichen Entrümpeln" sollte man sich periodisch die Frage stellen: "Was werde ich heuer nicht mehr tun?"
Das gleiche Prinzip bringt auch in Unternehmen einen enormen Nutzen, da es die Denkweise vom reinen "Besser, schneller, billiger" zum "Was ist eigentlich wirklich sinnvoll?" hinführt.
Ähnliches gilt auch im Bereich der Mitarbeiterführung, wo das Entrümpeln der "Aufgabenliste" eines Mitarbeiters eine wesentliche Voraussetzung zu mehr Produktivität und Wohlbefinden ist.
Stellen Sie sich einmal einen Heißluftballon vor.
Solange seine Hülle schlapp am Boden liegt, ist er nicht flugfähig. Erst die Gasfüllung macht ihn zum Ballon.
Analog dazu sind es unsere Ziele, die uns "flugfähig" machen. Auch die Überlegung, welchen Nutzen es bringt, wenn ich das Ziel erreicht habe.
Der Ballon fliegt aber solange nicht, solange die Leinen noch fest sind.
Bei unseren Zielen sind diese "Leinen" unsere Unentschlossenheit, Zweifel, mangelndes Selbstvertrauen. Hier hilft ein klarer (schriftlicher) Entschluss:
Ich will wirklich, ich verpflichte mich mir selbst.
Probleme bekommt der Ballon aber auch, wenn zu viel Ballast im Korb ist.
Übertragen auf unsere Ziele sind das: Alte Aufgaben, Verpflichtungen, Gewohnheiten, Prozeduren, Formalismen, ...
Das Focussieren auf neue Ziele ist gleichzeitig der beste Zeitpunkt zum Entrümpeln, Ausmisten und Entschlacken. Platz zu schaffen für Neues.
Mit dem Hausverstand ist das einfach nachvollziehbar.
Die gelebte Unternehmenspraxis sieht aber erschreckenderweise oft ganz anders aus.
Hier wird nur all zu oft etwas Unsinniges optimiert, manchmal sogar automatisiert.
Führungskräfte laden Mitarbeitern, die ohnehin vor lauter Arbeit kaum noch zum Atmen kommen, immer neue Ziele und Aufgaben auf.
Viele Mitarbeiter schreien nicht einmal mehr auf.
Manche tun es und stellen die Frage: "Wenn ich das tun soll, was soll ich dafür bleiben lassen?" und bekommen dann von der Führungskraft zu hören: "Alle Ihre Aufgaben sind wichtig. Das werden Sie doch wohl noch zusätzlich schaffen!" - und dann kommen vielleicht noch Bauchpinselungen ("Schließlich sind Sie unser bester Mann") oder sanfter Druck ("Sie wollen doch Karriere machen" oder "Schließlich bekommen Sie doch eine Überstundenpauschale").
Traut sich der Mitarbeiter dann noch, den Chef in die Verantwortung zu nehmen und zu fragen: "Ich weiß wirklich nicht, wie ich das alles schaffen soll. Wie soll ich das machen (= Chef, zeig es mir vor)?" kontern viele Führungskräfte mit einem lässigen "Keine Ahnung, Sie sind doch der Fachmann" oder "Kommen Sie mir nicht mit Problemen, bringen Sie mir die Lösung".
Kein Wunder, dass der Stress der Mitarbeiter zunimmt (bis zum Burn-out) und sich die Beziehung zur Führungskraft verschlechtert.
Etwas nicht mehr zu tun ist genau so ein Ziel wie etwas Neues oder Zusätzliches zu tun. Und es ist genau so zu behandeln wie ein Ziel (konkret, eigenverantwortlich, schriftlich, Zeitbezug, positiv formuliert).
Paradoxerweise ist vorher oft die Frage zu stellen:
"Was muss ich tun, um etwas bestimmtes künftig nicht mehr tun zu müssen?"
Es beginnt mit einer einfachen Frage:
"Was von dem, was ich (als Mitarbeiter) heute mache, würde ich nicht mehr neu beginnen, wenn ich es nicht schon täte?"
Fredmund Malik meint in seinem Buch "Führen, Leisten, Leben", dass man sich diese Frage ("Was von dem, was wir heute machen, würden wir nicht mehr neu beginnen, wenn wir es nicht schon täten?") alle drei Jahre bezogen auf Märkte, Kunden, Produkte und Technologien stellen sollte, sowie einmal jährlich auf alles Andere, was mit der Organisation zu tun hat (Prozesse, Aufgaben etc.).
Dazu ist es sinnvoll, sich gemeinsam mit den Bereichsmitarbeitern einen ganzen Tag Zeit zu nehmen (diesen verbindlich mit Termin reservieren), um zu entrümpeln.
Bezogen auf den einzelnen Mitarbeiter bietet das jährliche Mitarbeitergespräch einen guten Rahmen, über die Entrümpelung der Mitarbeiteraufgaben zu sprechen.
Meist findet sich eine ganze Reihe von Punkten.
Wenn man sich dann bei jedem die Frage stellt "Wozu haben wir es bisher gemacht?", wird oft deutlich, was der ursprüngliche Nutzen war. Damit kommt man wieder in Kontakt mit der eigentlichen Unternehmens-, Abteilungs- oder Stellenaufgabe.
Oft erkennt man, dass die zu entrümpelnde Aufgabe längst ein reiner Selbstzweck geworden ist, dass man das ursprünglich damit verbundene Ziel heute auf anderem Weg erreicht, oder auch, dass dieses Ziel heute gar nicht mehr relevant ist.
Dann stellt sich nur noch die Frage: Wann / wie schnell können wir damit aufhören?
Bei vielen Dingen geht das von heute auf morgen, bei manchen dauert es Jahre, bis man die erforderlichen Schritte eines sinnvollen "Ausstiegsszenarios" gemacht hat.
Lohnenswert ist es auf alle Fälle.
Auch ein Ballon kann um so höher steigen, je weniger Ballast er mitträgt.
18.02.2002