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Wertschätzung - Teil 4: Der Andere als Spiegel

 

Von einem meiner Freunde, einem IT-Spezialisten, habe ich einmal einen interessanten Ausspruch gehört: „Die EDV könnte so schön sein, wenn es die User nicht gäbe.“ Gut nachvollziehbar. EDV-Benutzer rufen den IT-Verantwortlichen an, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert oder sie sich nicht auskennen („ ... zu faul, um ins Manual zu schauen“). Das nervt. Schließlich hat man ja Besseres zu tun.


Wenn mich das Verhalten des Anderen stört – und ich es nicht verändern kann

 

In unserem EDV-Beispiel wird eine Ambilvalenz sichtbar, die uns in verschiedenen Lebensbereichen begegnet: Wir sind verbunden mit Menschen, die sich nicht so verhalten, wie wir es gerne hätten. Ohne sie ginge es aber auch nicht.

 

Ohne die Benutzer hätte der IT-Spezialist gar keinen Job. Ohne Mitarbeiter wäre ein Chef überflüssig. Ohne Partner ...

 

Natürlich haben wir unsere Wunschvorstellungen von einem „idealen“ Kunden, Lieferanten, Chef, Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Freund etc. In der Realität begegnen uns aber normale Menschen mit ihren Vorzügen, Macken und individuellen Vorstellungen. Wenn Sie schon einmal versucht haben, einen anderen Menschen zu ändern, wissen Sie wahrscheinlich, wie schwer das ist. Meist geht es gar nicht.

 

Wenn wir unser Wohlbefinden aber davon abhängig machen, dass Andere genau das tun, was wir möchten, dann sind Frust und Ärger vorprogrammiert.

 

Doch gerade diejenigen Verhaltensweisen oder Eigenschaften Anderer, die uns ärgern, können für uns von großem Wert sein. Wir brauchen nur genauer hin zu sehen.

Blicken wir in den Spiegel, sehen wir uns selbst

 

Die Amerikanerin Byron Katie hat eine sehr einfache Methode („The Work“) entwickelt, mit der wir vom störenden Verhalten Anderer profitieren können. Nach diesem Prozess erscheint uns der Andere oft gar nicht mehr so nervig, weil wir unsere Lektion gelernt haben.

 

Andere sind häufig Spiegelbilder von uns selbst (Projektion). Wir erkennen in ihnen Aspekte unserer eigenen Persönlichkeit – solche, die wir mögen und auch solche, die wir ablehnen. Wir sehen manchmal Verhaltensweisen, um die wir den Anderen unbewusst beneiden, weil wir uns diese nicht oder zu wenig gönnen (z.B. „faul“ sein). Wir können aber auch Aspekte entdecken, wo wir selbst zu wenig für uns sorgen.

 

Ein Beispiel:

 

Bei Seminaren höre ich von Teilnehmern häufig sinngemäß folgendes Statement: „Mein Chef kann nur meckern! Wenn ich etwas falsch mache, dann ist er gleich zur Stelle und kritisiert. Aber ein Lob käme ihm nie über die Lippen. Wenn er nicht meckert, ist das schon Lob genug.“

 

„The Work“ arbeitet nun (sehr vereinfacht dargestellt) damit, dass wir die Erwartung an den Anderen prägnant formulieren, entweder als „Der Andere soll doch endlich ...“ oder als „Der Andere soll nicht dauernd ...“.

 

In unserem Beispiel könnte der Satz so lauten:

 

„Mein Chef soll merken, wenn ich etwas gut mache und mir Anerkennung geben.“

 

Mit dieser Erwartung machen wir uns die Sache leicht: Wir geben dem Chef die Verantwortung dafür, dass wir uns „anerkannt fühlen“ können. Unglücklicherweise geben wir aber damit auch die Macht aus der Hand: Es hängt plötzlich vom Verhalten des Chefs ab, ob wir uns gut fühlen oder nicht. Gibt er uns Anerkennung, geht es uns gut, tut er es nicht, geht es uns nicht gut.

 

Der 2. Schritt bei „The Work“ besteht darin, den Satz umzudrehen, d.h. im Satz tauschen der Chef und ich quasi die Plätze:

 

„Ich soll merken, wenn mein Chef etwas gut macht und ihm Anerkennung geben.“

 

Hier regt sich innerlich oft Widerstand, vor allem, wenn man vom Chef insgesamt kein besonders positives Bild hat: „Ich soll ihn anerkennen? Diesen ....!“ Das heißt: Ich werte ihn ab, erwarte mir aber umgekehrt seine Wertschätzung. Seltsam. Aber diese erste Umkehrung ist nur ein Zwischenschritt. Richtig interessant wird es erst jetzt.

 

Im 3. Schritt wird die Projektion gänzlich aufgelöst, indem wir in dem Satz an Stelle des Chefs uns selbst setzen. Er lautet dann:

 

„Ich soll merken, wenn ICH etwas gut mache und MIR Anerkennung geben.“

 

Damit sind wir am eigentlichen Thema. Es lautet: Selbstachtung, Selbstwert, Wohlwollen mir selbst gegenüber. Wenn unser „Innerer Dialog“ einen Tag lang mit einem Tonband aufgezeichnet würde und wir uns diese Aufnahme anhören könnten, wir würden erschrecken! Bei fast allen Menschen ist der Anteil der Sätze, mit denen wir uns antreiben oder an uns selbst herumkritisieren deutlich höher als die Zahl der Sätze, mit denen wir uns selbst Anerkennung geben.

 

Und das ist der springenden Punkt: Ich kann den Chef vielleicht nicht dazu bringen, mich mehr zu loben, aber ich kann bei mir selbst öfter wahrnehmen, wenn ich etwas gut zustande gebracht habe und mir dafür innerlich Anerkennung aussprechen. Damit bin ich zwar wieder selbst verantwortlich für mein Wohlergehen, aber ich habe auch wieder die Macht darüber zurückgeholt.

 

 

Das Leben bietet viele Möglichkeiten, sich solche Projektionen anzusehen und aus ihnen zu lernen, z.B.:

 

ein Mitarbeiter, der mich als Führungskraft nicht akzeptiert (Frage: Wie weit sage ich selbst Ja zu dieser Führungsrolle?)

 

ein Freund, der Vereinbarungen mit mir oft nicht einhält (Frage: Wie oft / in welchen Bereichen nehme ich mir etwas vor, halte es nicht ein und enttäusche mich dadurch selbst?)

 

mein Kind, das statt zu lernen faulenzt (Frage: Wodurch lenke ich mich von wichtigen, aber unangenehmen Aufgaben ab?) Hier kann aber auch der umgekehrte Ansatz eine interessante Erkenntnis bringen: „Wann ist bei mir der Punkt erreicht, wo ich mir statt Pflichterfüllung wirklich eine Auszeit zum Faulenzen und Genießen gönnen sollte?“

Das Gemeinsame all dieser Situationen ist: Ich kann den Anderen oft nicht ändern, mich selbst schon – und das ist meist noch schwer genug. Aber wenn es gelingt, haben wir einiges an Lebensqualität gewonnen. Das Andere hat seine Funktion als Spiegel erfüllt. Wir müssen ihn nicht unbedingt sympathisch finden, aber wenigstens fühlen wir uns nicht mehr durch sein Verhalten genervt. Er war Spiegel – und hat uns dadurch die Möglichkeit geboten, über uns selbst etwas zu lernen. Dafür gebührt ihm unsere Wertschätzung.

 

09.02.2010

 

 


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Von einem meiner Freunde, einem IT-Spezialisten, habe ich einmal einen interessanten Ausspruch gehört: „Die EDV könnte so schön sein, wenn es die User nicht gäbe.“ Gut nachvollziehbar. EDV-Benutzer rufen den IT-Verantwortlichen an, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert oder sie sich nicht auskennen („ ... zu faul, um ins Manual zu schauen“). Das nervt. Schließlich hat man ja Besseres zu tun.


Wenn mich das Verhalten des Anderen stört – und ich es nicht verändern kann

 

In unserem EDV-Beispiel wird eine Ambilvalenz sichtbar, die uns in verschiedenen Lebensbereichen begegnet: Wir sind verbunden mit Menschen, die sich nicht so verhalten, wie wir es gerne hätten. Ohne sie ginge es aber auch nicht.

 

Ohne die Benutzer hätte der IT-Spezialist gar keinen Job. Ohne Mitarbeiter wäre ein Chef überflüssig. Ohne Partner ...

 

Natürlich haben wir unsere Wunschvorstellungen von einem „idealen“ Kunden, Lieferanten, Chef, Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Freund etc. In der Realität begegnen uns aber normale Menschen mit ihren Vorzügen, Macken und individuellen Vorstellungen. Wenn Sie schon einmal versucht haben, einen anderen Menschen zu ändern, wissen Sie wahrscheinlich, wie schwer das ist. Meist geht es gar nicht.

 

Wenn wir unser Wohlbefinden aber davon abhängig machen, dass Andere genau das tun, was wir möchten, dann sind Frust und Ärger vorprogrammiert.

 

Doch gerade diejenigen Verhaltensweisen oder Eigenschaften Anderer, die uns ärgern, können für uns von großem Wert sein. Wir brauchen nur genauer hin zu sehen.

Blicken wir in den Spiegel, sehen wir uns selbst

 

Die Amerikanerin Byron Katie hat eine sehr einfache Methode („The Work“) entwickelt, mit der wir vom störenden Verhalten Anderer profitieren können. Nach diesem Prozess erscheint uns der Andere oft gar nicht mehr so nervig, weil wir unsere Lektion gelernt haben.

 

Andere sind häufig Spiegelbilder von uns selbst (Projektion). Wir erkennen in ihnen Aspekte unserer eigenen Persönlichkeit – solche, die wir mögen und auch solche, die wir ablehnen. Wir sehen manchmal Verhaltensweisen, um die wir den Anderen unbewusst beneiden, weil wir uns diese nicht oder zu wenig gönnen (z.B. „faul“ sein). Wir können aber auch Aspekte entdecken, wo wir selbst zu wenig für uns sorgen.

 

Ein Beispiel:

 

Bei Seminaren höre ich von Teilnehmern häufig sinngemäß folgendes Statement: „Mein Chef kann nur meckern! Wenn ich etwas falsch mache, dann ist er gleich zur Stelle und kritisiert. Aber ein Lob käme ihm nie über die Lippen. Wenn er nicht meckert, ist das schon Lob genug.“

 

„The Work“ arbeitet nun (sehr vereinfacht dargestellt) damit, dass wir die Erwartung an den Anderen prägnant formulieren, entweder als „Der Andere soll doch endlich ...“ oder als „Der Andere soll nicht dauernd ...“.

 

In unserem Beispiel könnte der Satz so lauten:

 

„Mein Chef soll merken, wenn ich etwas gut mache und mir Anerkennung geben.“

 

Mit dieser Erwartung machen wir uns die Sache leicht: Wir geben dem Chef die Verantwortung dafür, dass wir uns „anerkannt fühlen“ können. Unglücklicherweise geben wir aber damit auch die Macht aus der Hand: Es hängt plötzlich vom Verhalten des Chefs ab, ob wir uns gut fühlen oder nicht. Gibt er uns Anerkennung, geht es uns gut, tut er es nicht, geht es uns nicht gut.

 

Der 2. Schritt bei „The Work“ besteht darin, den Satz umzudrehen, d.h. im Satz tauschen der Chef und ich quasi die Plätze:

 

„Ich soll merken, wenn mein Chef etwas gut macht und ihm Anerkennung geben.“

 

Hier regt sich innerlich oft Widerstand, vor allem, wenn man vom Chef insgesamt kein besonders positives Bild hat: „Ich soll ihn anerkennen? Diesen ....!“ Das heißt: Ich werte ihn ab, erwarte mir aber umgekehrt seine Wertschätzung. Seltsam. Aber diese erste Umkehrung ist nur ein Zwischenschritt. Richtig interessant wird es erst jetzt.

 

Im 3. Schritt wird die Projektion gänzlich aufgelöst, indem wir in dem Satz an Stelle des Chefs uns selbst setzen. Er lautet dann:

 

„Ich soll merken, wenn ICH etwas gut mache und MIR Anerkennung geben.“

 

Damit sind wir am eigentlichen Thema. Es lautet: Selbstachtung, Selbstwert, Wohlwollen mir selbst gegenüber. Wenn unser „Innerer Dialog“ einen Tag lang mit einem Tonband aufgezeichnet würde und wir uns diese Aufnahme anhören könnten, wir würden erschrecken! Bei fast allen Menschen ist der Anteil der Sätze, mit denen wir uns antreiben oder an uns selbst herumkritisieren deutlich höher als die Zahl der Sätze, mit denen wir uns selbst Anerkennung geben.

 

Und das ist der springenden Punkt: Ich kann den Chef vielleicht nicht dazu bringen, mich mehr zu loben, aber ich kann bei mir selbst öfter wahrnehmen, wenn ich etwas gut zustande gebracht habe und mir dafür innerlich Anerkennung aussprechen. Damit bin ich zwar wieder selbst verantwortlich für mein Wohlergehen, aber ich habe auch wieder die Macht darüber zurückgeholt.

 

 

Das Leben bietet viele Möglichkeiten, sich solche Projektionen anzusehen und aus ihnen zu lernen, z.B.:

 

ein Mitarbeiter, der mich als Führungskraft nicht akzeptiert (Frage: Wie weit sage ich selbst Ja zu dieser Führungsrolle?)

 

ein Freund, der Vereinbarungen mit mir oft nicht einhält (Frage: Wie oft / in welchen Bereichen nehme ich mir etwas vor, halte es nicht ein und enttäusche mich dadurch selbst?)

 

mein Kind, das statt zu lernen faulenzt (Frage: Wodurch lenke ich mich von wichtigen, aber unangenehmen Aufgaben ab?) Hier kann aber auch der umgekehrte Ansatz eine interessante Erkenntnis bringen: „Wann ist bei mir der Punkt erreicht, wo ich mir statt Pflichterfüllung wirklich eine Auszeit zum Faulenzen und Genießen gönnen sollte?“

Das Gemeinsame all dieser Situationen ist: Ich kann den Anderen oft nicht ändern, mich selbst schon – und das ist meist noch schwer genug. Aber wenn es gelingt, haben wir einiges an Lebensqualität gewonnen. Das Andere hat seine Funktion als Spiegel erfüllt. Wir müssen ihn nicht unbedingt sympathisch finden, aber wenigstens fühlen wir uns nicht mehr durch sein Verhalten genervt. Er war Spiegel – und hat uns dadurch die Möglichkeit geboten, über uns selbst etwas zu lernen. Dafür gebührt ihm unsere Wertschätzung.

 

09.02.2010

 

 

 

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